„Hinschauen, handeln“, fordern die Lions Clubs Villingen-Schwenningen und der Weiße Ring. Sie starten eine Lesereihe mit Autorin Lilly Lindner. Die war in ihrer Kindheit selbst
Missbrauchs-Opfer.

Die Lions Clubs von Villingen und Schwenningen starten erneut ein Präventionsprojekt gegen Kindesmissbrauch. Die Serviceclub-Mitglieder widmen sich dem sozialen Tabuthema in Zusammenarbeit mit dem Weißen Ring Schwarzwald-Baar, dem örtlichen Ableger von Deutschlands größter Hilfsorganisation für Opfer von Kriminalität.
Bei einer Lesereihe der Berliner Erfolgsautoring Lilly Lindner soll im November an Schulen in der Doppelstadt sowie in öffentlichen Lesungen dem Thema durch geschilderte, persönliche Erfahrungen nachgegangen werden. Die Freizeitwerkstatt der Lions Clubs, bei der Projekte für Kinder und Jugendliche in der Region verwirklicht werden, hat dafür den Slogan geprägt: „Hinschauen, handeln!“
Direkte Kommunikation sei die beste Prävention gegen sexuelle Gewalt gegenüber Kindern, heißt es von den Veranstaltern. Ziele des Projektes sind, das Schweigen zu brechen, Mut aufzubauen. Opfer sollen durch einen langwierigen Prozess einen Teil oder die Vollständigkeit ihres Lebens und ihre intime Autonomie wiedergewinnen.
Die Autorin Lilly Lindner wurde in der Kindheit mehrfach und jahrelang Opfer sexueller Nötigung, verarbeitet ihr Leid ungebrochen als Autobiographin und Romanschriftstellerin. „Durch ihre charismatische Natur und emotional unverblümte Art erschien sie uns als geeignete Persönlichkeit, um mit der nötigen Lautstärke an die Problematik heranzugehen“, sagt Hans-Joachim Bürner, Villinger Lions-Mitglied und ehemaliger Schulleiter an der Bickebergschule. „Sollten bei der Lesereihe Tränen fließen oder aufsteigende Wut sichtbar werden, so ist das eben ihre Art mit ihrer Geschichte umzugehen.“
Bereits im März 2015 hatten die Organisatoren mit der Aufführung des Figurentheaterstücks „Pfoten weg!“ der Konstanzer Puppenbühne viel Aufmerksamkeit in der öffentlichen Wahrnehmung. Über 1000
Kinder im Grundschul- oder Kindergartenalter konnten so präventiv aufgeklärt werden. Das jetzige Projekt richtet sich an Jugendliche ab der Klassenstufe acht.
Der Initiator: Der Initiator der Lesereihe ist Steffen Vogt, Musiklehrer an der gleichnamigen Musikschule. Das Thema des sexuellen Kindesmissbrauchs hat ihn nach eigenen Angaben schon immer umgetrieben. Nach der Wahrnehmung eines Interviews samt Buchpräsentation der Autorin „mit der ganz speziellen Art“ kam ihm demnach die Idee für eine Kooperation. Der Weg zum Schulleiter im Ruhestand und Lions-Mitglied Bürner war nicht weit. Vogt führt an der Villinger Bickebergschule in vier Kursen Kinder an das Gitarren- und Keyboardspielen heran.
Die Autorin: Lilly Lindner, Jahrgang 1985, erfährt ab dem sechsten Lebensjahr Vergewaltigung am eigenen Leib. Es folgen Magersucht, weiterführender Missbrauch und Prostitution. Ihre gestohlene Kindheit verarbeitet sie auch bei öffentlichen Lesungen.
Ziele des Projekts: Die Lesereihe soll Kindern das Selbstbewusstsein zu aktiven Gegenreaktionen an ungewollte Annäherungsversuche vermitteln. Missbrauch bedeutet noch nicht den Vollzug einer Vergewaltigung. Signale und Anzeichen richtig zu deuten und Nein zu sagen ist die Maxime. Informationen zur Selbsthilfe im Schwarzwald-Baar-Kreis werden nach den Veranstaltungen angeboten. Für Menschen, die bereits sexuellen Missbrauch durchlitten haben, könnten Impulse für eine Aufarbeitung folgen. Die Lesung durch eine Betroffene, Gelegenheit zu Fragen und Kommunikation ermöglichen zudem eine Annäherung an das Thema aus erster Hand.
Sexuelle Gewalt in Zahlen: Der Weiße Ring, Außenstelle Schwarzwald-Baar-Kreis, ist auch Mitglied im Arbeitskreis sexuelle Gewalt. Zwei Drittel der kreisweiten Opferfälle bei
Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ordnet der Ring Sexualdelikten zu. So sind die bundesweiten Zahlen der jährlichen Sexualgewalt gegen Kinder seit 2004 zwar um knapp ein Viertel auf 14 877
Fälle im Jahre 2013 gesunken, die vermutete Dunkelziffer wird jedoch auf das acht- bis zehnfache geschätzt. Mehr als jede zweite Tat wird dabei aus dem Verwandten- oder näheren Bekanntenkreis
verübt, oftmals über Jahre hinweg.