Wir zeigen Magie des Nein

Auf einen Kaffee mit Irmi Wette. „Pfoten weg!“ heißt ein Figurentheaterstück der Konstanzer Puppenbühne, das bei einer breiten Aufklärungskampagne gegen sexuelle Übergriffe auf Kinder gezeigt wird. Der SÜDKURIER ist Medienpartner 

Interview mit Irmi Wette - Fragen: Christina Nack
Interview mit Irmi Wette - Fragen: Christina Nack

Irmi Wette ist gebürtige Furtwangerin, staatlich anerkannte Erzieherin und 45 Jahre alt. 1998 gründete sie die Konstanzer Puppenbühne und betreibt sie seither als Haupterwerb. Kernstück ist pädagogisches Figurentheater. Das Präventions-projekt „Pfoten weg!“ entwickelte sich seit 2003 zum konstanten Schwerpunkt für sich mit jährlichen Aktionstagen, die seit fünf Jahren kostenfrei angeboten werden. Von Sonntag, 22. März, bis Mittwoch, 25. März, ist das Stück mehrfach in Villingen-Schwenningen zu erleben. „Macht Kinder stark!“ ist Untertitel der Initiative, die von der Freizeitwerkstatt der beiden städtischen Lionsclubs finanziell und organisatorisch unterstützt wird. In bundesweiter Kooperation mit dem Weißen Ring erschien im September 2014 ein Bilderbuch inklusive CD. Sie beinhaltet ein Hörspiel und Informationsmaterial auch von den weiteren Partnern im Netzwerk gegen sexuelle Gewalt. (cn)

Warum sind Sie vom Schwarzwald, von Furtwangen an den Bodensee gezogen?

Ich habe einige Monate in Spanien gelebt und sehnte mich nach Wasser.

Wie kam es, dass Sie nicht mehr als Erzieherin, sondern als Puppenspielerin arbeiten?

Es ist eine wunderbare Symbiose, kreativ im sozialen Bereich zu arbeiten. Das kreative Erbe meiner Vorfahren achte ich sehr – Engelbert Humperdinck ist mein Urgroß-Onkel, der mit seiner Schwester, meiner Ur-Oma Adelheid Wette, die Kinderoper „Hänsel und Gretel“ und weitere Bühnenwerke geschrieben hat. Das neue Buch zu „Pfoten weg!“ habe ich mit eigenen Zeichnungen illustriert, die Texte geschrieben, Jahre zuvor die Figuren und Lieder ausgedacht. All das ging leicht und machte mir so viel Freude, dass ich es auf meine Gene zurückführe.

Warum haben Sie sich derart intensiv auf Übergriffe gegen Kinder als Hauptthema festgelegt?

Prävention ist für mich die einzige Antwort auf das, was ich als Pädagogin im Berufsalltag erlebte. Kinder, denen Erwachsene etwas Schreckliches und Unaussprechliches angetan hatten. Das hat mich unsagbar berührt, wütend und nun seit Jahren aktiv gemacht.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Wenn ein Kind ständig Kopulation spielt, ist das ein stummer Aufschrei, ein Zeichen, dass etwas nicht in Ordnung ist. Missbrauchte Kinder senden Signale aus. Die müssen Erzieher und Erzieherinnen besser deuten können, sensibilisiert und geschult werden, das gilt auch für die Eltern.

Wo fängt Missbrauch an?

Niedliche Babys verführen ebenso wie junge Tiere fast automatisch zur Berührung, zum Streicheln und Liebkosen. Es geht um Respekt. Sie wollen ja als Erwachsene auch nicht einfach von jedem ungefragt angefasst werden. Und wie die Katzenkinder sollten auch Menschenkinder bei unerwünschtem Tätscheln im übertragenen Sinn die Krallen zeigen. Kraulen und Kuscheln sind wichtig und wertvoll, aber niemals gegen den Willen des Kindes. Es soll lernen, sich nicht alles gefallen zu lassen, sondern seinem Bauchgefühl zu vertrauen. Wenn es die Schlabberküsse von Tante Herzi und die krakenhaften Umarmungen von Onkel Burschi nicht will, darf es nein sagen. Wir wollen die Magie des „Nein“ vermitteln.

Und wenn die Kinder nicht wagen, sich gegen übergriffige Erwachsene zu wehren, weil es sich um Verwandte und Freunde der Familie handelt?

Meist geht es um den so genannten Nah-Täter, Vater, Onkel, Mutter, Tante. Ziel muss sein, die Persönlichkeiten der Kinder zu stärken. Sie müssen ein Gespür für manipulatives Verhalten entwickeln und so selbstbewusst sein, sich abzugrenzen und ihre Grenzen deutlich zu artikulieren. Es ist verdammt schwer, wenn ein Familienmitglied der Täter ist. Kinder haben jedoch nie schuld und sind nicht verantwortlich für die Tat. Man muss ihnen die Hand reichen, damit sie sich öffnen und Hilfe annehmen können.

Dafür kann der Besuch eines Puppentheaters kaum ausreichend sein.

Natürlich nicht, darum ist mir Vernetzung so wichtig. Mit dem Weißen Ring habe ich seit letztem Jahr eine bundesweite Kooperation, ich arbeite mit der Polizei zusammen, mit Jugendämtern, Schulen, Kindergärten. Das Stück kann ein Anfang zur Sensibilisierung sein und pädagogische Impulse liefern. „Pfoten weg!“ dient als Türöffner.

Merken Sie, ob sich die Kinder in den jungen Katzen wiederkennen?

Klar. Ich arbeite ja nur mit Andeutungen. Wenn von Tante Herzis glitschigen Dinosaurierochsenfroschküssen erzählt wird, merke ich, dass das Publikum weiß, was gemeint ist und wie eklig sich das anfühlen kann.

Hat sich schon einmal ein Kind während einer Vorstellung als Opfer geoutet?

Ja, es kam schon vor, dass ein Kind durch seine Reaktion verdeutlichte, dass es Übergriffe erlitten hat. In solchen Situationen ist die Vernetzung vor Ort enorm wichtig, die Sensibilisierung der Pädagogen, die Weiterreichung der Hilfsangebote. Die Pädagogen müssen wissen, wohin sie sich wenden können, denn sie können und müssen dieses Problem nicht alleine lösen.

Wie locken Sie Opferkinder aus der Reserve?

Für sie kann das Theaterstück wertvolle Projektionsfläche sein. Die Wildschweine decken Burschi und Herzi auf. Sie verkörpern Zivilcourage und machen Mut, die bösen Geheimnisse zu verraten. Die Katzenfee ist eine magische Instanz, die die Kinder das Pfoten-Weg-Lied mit lautstarkem Nein lehrt.